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Kinderreiche Familien in Deutschland

Auslaufmodel oder Lebensentwurf der Zukunft?

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung - kurz BiB - stellte im Juni eine neue Studie vor: Danach sei Kinderreichtum in Deutschland im längerfristigen Trend zurückgegangen. Anders als viele andere Familienkonstellationen treffen Familien mit drei und mehr Kindern häufig auf Vorbehalte in der Gesellschaft. Dabei nähmen kinderreiche Familien für die demografische Entwicklung eine wichtige Stellung ein. Doch wer sind die Kinderreichen in Deutschland? Wo wohnen sie und in welchen Lebenslagen befinden sie sich? Erstmalig zeigt die Studie auch die regionale Verteilung kinderreicher Familien.

Professor Norbert F. Schneider, Soziologe und Direktor am BiB hat maßgeblich an der Studie mitgewirkt. Ein paar Monate hat es gedauert, bis er und seine Kollegen die Daten ausgewertet haben, die sie von verschiedenen Institutionen bekamen. Die Ergebnisse sind vor allem von statistischer Relevanz. „Wir haben anhand von Frauen, die zwischen 1965 und 1974 geboren wurden die Geburtenzahlen und Lebensumstände in Deutschland untersucht. Also von Frauen, die jetzt aus dem gebärfähigen Alter heraus sind“, so Prof. Schneider. „Dabei zeigte sich, dass es längerfristig eine beträchtliche Zunahme dauerhaft kinderloser Frauen gibt. Bei Frauen, die tendenziell drei Kinder und mehr bekommen (ab drei Kindern gilt eine Frau als kinderreich) gibt es in den letzten Jahren wieder einen leichten Aufwärtstrend, der auch durch die gestiegene Zahl von Frauen mit Migrationshintergrund herrührt“, so der Soziologe.    
    
Im Osten Deutschlands gibt es mehr Mütter, die nur ein Kind haben, im Westen sind es häufiger zwei. Allerdings gibt es auch große Unterschiede in den einzelnen Lebensmodellen. Bei Familien im Westen gibt es noch häufiger die klassische Rollenverteilung vom Mann, der den Lebensunterhalt verdient und der Frau, die sich um Kinder und Haushalt kümmert. „Wobei wir leider kaum Daten über die Rolle der Männer und deren Vaterschaft auswerten konnten“.

Trotzdem gibt es eine Erkenntnis, die in der Studie aus Mangel an Daten nicht weiter interpretiert werden konnte: Während bei Frauen, die drei und mehr Kinder bekommen haben, ein eher niedrigeres Bildungsniveau zu beobachten gewesen sei, wäre es bei Männern umgedreht, erklärt Prof. Schneider. Väter von drei und mehr Kindern hätten häufiger einen hohen Bildungsabschluss.
    
Die Studie besagt weiter, dass dauerhafte Kinderlosigkeit im Osten seltener sei, als bei Frauen in den alten Bundesländern. Dort scheinen sich mehr Frauen für Bildung und Erwerbstätigkeit - also Karriere - und Kinderlosigkeit zu entscheiden.

Ein weiterer Punkt sei der Anstieg des Alters von Erstgebärenden. „Zu DDR-Zeiten lag das Durchschnittsalter der Frauen, die ihr erstes Kind bekamen bei 23 Jahren. Inzwischen sind die Frauen im Durchschnitt 29 Jahre alt. Das ist eine sehr dynamische Entwicklung“, so der Soziologe. „Zum einen ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Frauen dann noch drei Kinder oder mehr bekommen, sehr niedrig und zum anderen wächst dadurch auch die Zahl der Frauen, die kinderlos bleiben, ob gewollt oder ungewollt“.   
    
Eine andere Erkenntnis ist die, dass es bei den Frauen im Vergleichszeitraum zwischen 1965 und 1974 in Sachsen-Anhalt die wenigsten kinderreichen Familien gibt - also mindestens drei Kinder. Im Bundesdurchschnitt seien es nämlich 16 Prozent und beispielsweise in Dessau nur 7,4 Prozent, dicht gefolgt von Mansfeld-Südharz und Anhalt-Bitterfeld. Auch Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg belegen in dieser Statistik hintere Plätze.

Auch sei die Stigmatisierung kinderreicher Familien als asoziale Familien weiterhin verbreitet, erklärt Prof. Schneider. In einer Umfrage gab es zum Beispiel einmal die Frage: Halten Sie kinderreiche Familien für asozial? Darauf antworteten 15 Prozent der Gefragten mit „Ja“. Eine andere Frage lautete. Glauben sie, dass andere Personen kinderreiche Familien für asozial halten? Darauf haben 75 Prozent mit „Ja“ geantwortet.   
   
Die Gruppe der alleinerziehenden Mütter muss man sehr differenziert betrachten. Vor allem junge Mütter ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind von einem extrem hohen Armutsrisiko betroffen. Dagegen sind alleinerziehende verwitwete Frauen statistisch gesehen kaum von Armut bedroht.
   
Auch in der Vergangenheit haben Frauen mit Mitte oder Ende Dreißig noch Kinder bekommen. Heute ist das weit verbreitet und kann aus medizinischen Gründen nicht mehr generell als Risikoschwangerschaft bewertet werden, wie dies in der DDR noch generell galt.
   
Mit den Studienergebnisse, erklärte Norbert Schneider, „wissen wir heute mehr über die Lebenslage von kinderreichen Haushalten. Daraus können Ansatzpunkte abgeleitet werden, um gezielte Unterstützungsmöglichkeiten für diese Familien anzubieten“.

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