Menu
menu

Neues von der Expertenplattform

Ergebnisse aus dem Transferworkshop: Das andere Bauhaus-Erbe

Leben in den Plattenbausiedlungen Sachsen-Anhalts heute (von Peer Pasternack)

Wie in der vorhergehenden Ausgabe unseres Newsletters DEMOGRAF angekündigt, lud die Expertenplattform „Demographischer Wandel in Sachsen-Anhalt“ am 1. Juli 2019 zu einem Transferworkshop in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) ein. Der Workshop beschäftigte sich mit Zukunftsfragen und Potenzialen von Plattenbausiedlungen.

Damit ließ sich zugleich eine Lücke schließen, die das Jubiläum „100 Jahre Bauhaus“ gelassen hat. Dort werden die Prägungen des Designs und der Architektur gefeiert, die heute noch als schick gelten. Nicht benannt im Jubiläumsprogramm ist das andere Erbe: Die Radikalisierung des Neuen Bauens in Gestalt industriell errichteter Plattenbausiedlungen.

Sachsen-Anhalt hat 84 davon, darunter fünf Großwohnsiedlungen, d.h. solche mit mehr als 2.500 Wohnungen: in Halle die Neustadt und Silberhöhe, in Magdeburg Neu Olvenstedt, daneben Wolfen-Nord und Stendal-Stadtsee. Rund ein Fünftel der Bevölkerung lebt im Plattenbau. Es handelt sich damit um einen der lebendigsten Teile der Bauhaus-Wirkungsgeschichte – und einen kontrovers bewerteten. Er ist nicht nur architektonisch ein besonderer urbaner Siedlungstyp, sondern seit den 90er Jahren auch sozial. Bis 1989 waren die Neubausiedlungen Orte der geplanten Expansion und seit 1990 Orte der ungeplanten Schrumpfung.

Der Workshop im Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) versammelte 51 Teilnehmer aus Quartiersmanagement, Kommunalverwaltungen, Wohnungswirtschaft und Wissenschaft. Die präsentierten Analysen und Erfahrungsberichte bewegten sich zwischen beunruhigenden Bestandsaufnahmen, Hinweisen auf fehlerhafte Wirkungsannahmen und der Vorstellung von Initiativen, um den Entwicklungen eine andere Richtung zu geben.

Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Dr. Reiner Haseloff, ordnete in seinem Vortrag die Situation in einen größeren Rahmen ein: Plattenbausiedlungen müssten keine unattraktiven Wohngebiete sein, wenn sie mit anderen Angeboten kombiniert werden, etwa Digitalisierung oder flankierenden Offerten, um in fortgeschrittenen Lebensphasen ein selbstbestimmtes Leben realisieren zu können. Vergleiche man zudem, so Haseloff, die Plattenbausiedlungen mit ländlichen Gebieten, dann schärfe das den Blick für die vorhandenen Qualitäten.

Prof. Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin stellte die Segregation dar, d.h. der Sortierung von Quartieren nach den sozialen Lagen ihrer Bewohner. In Sachsen-Anhalt sei vor allem Halle-Neustadt auffällig: Eine so hohe SGB-II-Quote wie dort gebe es bundesweit nur in vier weiteren Städten. Wollte man die bestehende Segregation in Halle insgesamt auflösen, d.h. alle sozialen Gruppen gleichmäßig übers Stadtgebiet verteilen, dann müssten 40 Prozent aller SGB-II-Empfänger umziehen. Ralf Protz vom Kompetenzzentrum Großsiedlungen Berlin ergänzte: Die Plattenbauquartiere sind nicht die Verursacher, sondern die Austragungsorte sozialer Probleme.

Man brauche unkonventionelle Ideen, so der Tenor in der Diskussion, aber nicht nur: „Konventionelle Ideen sind auch ok, immerhin sind 95 Prozent der Menschen konventionell.“ Ein Beispiel aus der Debatte: Die Ko¬sten der Unterkunft (KdU) sind politisch kalkulierte Sätze und für diese lassen sich Wohnungen fast nur in den Plattenbausiedlungen finden. Damit greifen die Städte in die Wohnungsmärkte ein und sind damit wichtige Akteure bei der Erzeugung sozialer Segregation.

Ein anderer Vorschlag bezog sich auf sozialen Wohnungsbau.  Die Generation, die jetzt und in Kürze in Rente geht, wird mit ihren gebrochenen Erwerbsbiografien nach 1990 nur Niedrigrenten bekommen. Sie braucht daher genau die preiswerten Wohnungen, die es in den Plattenbausiedlungen gibt. Soll daran etwas verändert werden, müsse man sozialen Wohnungsbau in besseren Wohnlagen, z.B. Innenstädten, statt in Großwohnsiedlungen realisieren. Dazu müssten Neubauten mit strikten Auflagen für einen Anteil von Sozialwohnungen versehen werden.

Aufgeben jedenfalls lässt sich die Mehrzahl der Siedlungen nicht. Die Plattenbauquartiere werden für ihre vielen Bewohner dringend gebraucht.

 

>>Die Präsentationen zum Transferworkshops finden Sie hier.

Zurück zur Übersicht