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Mittendrin statt Abstellgleis

Altersgerechtes Wohnen in Halle-Neustadt

Pilotprojekt „ZUSAMMENLEBEN 4.0“ der Halle-Neustädter Wohnungsgenossenschaft e.G. („HA-NEUer wohnen“)

Gemeinsam mit anderen Akteuren sucht Andreas Luther als Vorstandsvorsitzender der „HA-NEUer wohnen“ Lösungen gegen Einsamkeit und Isolation im Alter. Dank moderner Technik zur Erfassung von Vitaldaten und einem Konzept zur Integration in eine aktive Gemeinschaft sollen Senioren möglichst lange eigenständig wohnen können.

„Das Erste was ich morgens mache, bevor ich zur Arbeit fahre, ist, meine Mutter anzurufen. Wenn sie dann ans Telefon geht, bin ich schon erleichtert.“, sagt Andreas Luther, der maßgeblich mit an dem Wohnprojekt „Zusammenleben 4.0“ arbeitet und sich somit den Herausforderungen der Wohnungsplanung für ältere Menschen stellt. So geht es sicher vielen berufstätigen Menschen, deren Eltern die Altersgrenze von 70 Jahren überschritten haben. „Nun stellen Sie sich einmal vor, man bekäme per App automatisch mitgeteilt, dass die Mutter sich in gewohnter Art und Weise in ihrer Wohnung fortbewegt und alles in Ordnung ist.“ Dies würde sicher viele Berufstätige beruhigen. Wie schön wäre es, die Mutter oder den Vater anzurufen, um ihr bzw. ihm aus der Ferne einfach einen „Guten Morgen“ zu wünschen, ohne jedes Mal zu zittern, weil der Hörer nicht sofort abgenommen wird.

Ein Modellquartier in Halle-Neustadt wird gestaltet

Wissenschaftler der Fraunhofer Gesellschaft, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und des universitätsklinikums Halle entwickeln mit ihrem technologischen und wissenschaftlichen Fokus auch neue Applikationen. Neben barrierefreien Eingängen und Aufzügen setzt das Projekt auf moderne digitale Technik. Auf die Frage, was wir unter einer smarten Wohnung verstehen können, beschreibt Andreas Luther diese wie folgt: „Der Fernseher ist immer noch das beliebteste Möbelstück. Stellen Sie sich vor, dass dieses Gerät Ihre Stimmung anhand von Mimik und Gestik messen kann. Ihre Couch, auf der Sie sitzen, misst Vitaldaten, z.B. Ihren Blutdruck oder Ihr Stressniveau.“

Diese Vitaldaten würden anschließend von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ausgewertet und auch an den Hausarzt weitergeleitet werden. Anhand einer smarten Musterwohnung soll im Projekt festgestellt werden, wie die Ausstattung in der Zukunft aussehen müsste.

Läge ein Mensch zum Beispiel nach einem Herzinfarkt oder Zuckerschock bewegungslos in seiner Wohnung und ihm könnte nicht gleich geholfen werden, wäre der Krankheitsverlauf nicht nur deutlich unangenehmer, sondern mit Krankenhausund
Reha-Aufenthalt für den Steuerzahler sehr viel teurer. Günstiger dagegen wäre aus Luthers Sicht die Investition in smarte Wohnungen. Hier gäbe es intelligente Fußböden oder die beschriebene Couch, welche mit Sensoren versehen wären und
elektromagnetische Felder erzeugen. Nähmen diese „Felder“ Anomalien wahr, würden bestimmte Messergebnisse an die Rettungsleitstelle übermittelt werden. In naher Zukunft würden so Schlaganfälle, Zuckerschocks und andere lebensbedrohliche Krankheiten anhand bestimmter Bewegungsmuster, Verhaltensweisen und Vitaldaten erkannt werden, bevor sie einträten.

Viele weitere innovative Ideen existieren bei der Halle-Neustädter Wohnungsgenossenschaft e. G. in Halle. So könnten „intelligente“ Rollatoren autonom – ähnlich wie Taxis – zum Abrufenden fahren.

Auf die Frage nach der Idee zu diesem Projekt erklärt der Vorstandsvorsitzende: „Wir sind ein Wohnungsunternehmen und Bestandshalter. Wir haben ein unmittelbares Interesse daran, dass es unseren Mietern gut geht und wir möchten wissen, was sie interessiert. Die Gruppe derer, die älter wird, wächst. 100 ist die neue 75!“ bekräftigt Luther seine Aussage. „Die Menschen altern, aber vitaler, teilweise leider auch einsam.“ stellt er fest. Der Vorstandsvorsitzende der Wohnungsgenossenschaft fragt sich, was die derzeitige ältere Generation ausmacht, was sie bewegt und was ihr Lebenswerk
ist. „Vielleicht, dass sie nach dem letzten großen Krieg ein sorgenfreies Leben führen konnten. Der Wohlstand hat es aber auch mit sich gebracht, dass diese Menschen einsamer altern und oft nicht mehr – wie früher – mit der Familie an einem Ort wohnen. Heute leben die Kinder in Berlin, Brüssel oder Hamburg. Solange man gesund ist, ist die Selbstversorgung kein Problem. Viele unserer Mieter der älteren Generation stellen sich die Frage: Was passiert, wenn ich krank werde, wenn mein Partner nicht mehr da ist? Gemeinsam geht es noch, aber allein?“ beschreibt Luther, wie er die Situation, insbesondere in Halle-Neustadt, wahrnimmt. Er ist überzeugt: „Wir müssen etwas tun!“

Er beschreibt die Herausforderungen für das Sozialversicherungssystem aufgrund des demografisch bedingten Beschäftigungsrückgangs in Deutschland: „Wir haben weniger Leistungserbringer, die Einzahler nehmen deutlich ab. Die Gruppe der Älteren wird immer größer. Dies betrifft nicht nur Deutschland und Europa. Auch in anderen Ländern gilt es, sich dieser Herausforderung zu stellen.“ Luther sieht sich aufgrund seiner Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Fraunhofer Gesellschaft in Halle durch die Wissenschaft bestätigt.

Das Pilotprojekt – bereits jetzt eingebettet in ein großes Netzwerk

Ein Wohnquartier für ca. 4.000 Menschen in Halle-Neustadt soll neu konzipiert und nach und nach altersgerecht umgebaut werden. Nicht alle Objekte befinden sich im Eigentum der „HA-NEUer wohnen“. Mit etwa 60 Wohnungen hat der Ausbau einschließlich der technischen Raffinessen für das Pilotprojekt begonnen. Ziel ist es, Kosten für Pflege und Gesundheit in der Altenversorgung durch Einsatz von technischen und organisatorischen Innovationen zu reduzieren. Der Erhalt von Selbstbestimmtheit und sozialer Teilhabe soll bis ins hohe Alter gewährleistet bleiben. Zentrale Probleme älterer Mitglieder und Mieter der Wohnungsgenossenschaft werden damit gelöst.

Quartiere neu denken – Kieze gestalten – Bindungen schaffen

Die Gruppe derer im Quartier, die ein sehr hohes Lebensalter erreichen, steigt an.Aus Luthers Sicht komme dem Quartier eine völlig andere Bedeutung zu: „DieMenschen müssen unterhalten werden. Sie müssen raus aus der Einsamkeit, dereigenen Wohnung, der Isolation!“

Dafür möchte Luther mit der Wohnungsgenossenschaft gern als Akteur oderModerator den Menschen attraktive Angebote im Bereich Kultur, Sport, Austausch,Gesundheit, Pflege und Physiotherapie unterbreiten.

„Es muss uns gelingen, dass die Gruppe älterer Menschen, die sich im Quartierbefindet, solange wie möglich aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann.Wir müssen Mobilitätskonzepte entwickeln sowie attraktive Angebote im Quartierund in den Wohnungen schaffen und für die Familienangehörigen neue Wege derBetreuung eröffnen. Quartiere müssen verändert und neu gedacht werden, wenn wirzukunftsfähig werden wollen.“

Das Quartier soll eine „Neue Mitte“ erhalten und so das Projekt „Zusammenleben 4.0“mit Leben erfüllen. Dies soll folgende Schwerpunkte umfassen:

  • Gesundheit und Pflege,
  • Sport und Bewegung,
  • Kommunikation, Treffpunkt und
  • Interaktion.

Lebenssinn und Anerkennung auch im Alter

Bei diesem Projekt soll das im Rentenalter steigende Engagement für Ehrenämter genutzt werden. Eine ehemalige Krankenschwester könnte Mitbewohner zu bestimmten Zeiten noch versorgen und bei Bedarf einen Arzt informieren. Eine frühere Kindergärtnerin lädt zum Basteln ein oder bereitet als Lese-Oma Freude. Ein Gärtnerin Rente weist Interessierte bei der Pflege von Grünanlagen ein. So ließen sich viele Beispiele für Betätigungsfelder finden, die allen Beteiligten zugutekämen.

Mittendrin statt Abstellgleis

Es sollte nichts Schlimmes sein, alt zu werden. Dieses Thema sei etwas für die Mitte unserer Gesellschaft, lautet die Meinung Luthers. „Keiner soll aufs Abstellgleis gestellt werden! Wir wollen kein Altenviertel, sondern eine Durchmischung, ein Miteinander erreichen – einen Lebenssinn für alle Menschen in Großwohnsiedlungen gestalten.“ Er fühlt sich diesen Menschen moralisch verpflichtet, den ehemaligen Einzahlern in unser Sozialversicherungssystem, etwas zurückzugeben. „Wir möchten für sie da sein, sie leiten und Lebensfreude schenken.“

Wohnen steuern – funktioniert das?

Aus Luthers Sicht könnten Wohnungsanbieter über die Vermietung Einfluss auf die demografische Struktur der Bewohnerschaft in den Quartieren nehmen. Ältere Menschen wohnten dann gemeinsam mit jüngeren Menschen in einem Wohnviertel. Es entstünden zwischenmenschliche Bindungen – manchmal vielleicht sogar Ersatzoma-/Ersatzenkel-Verhältnisse.

Weitere Beteiligte und Mitstreiter

„Wir sind auch sehr dankbar, dass die Stadt Halle und das Land Sachsen-Anhalt uns unterstützen.“ sagt Andreas Luther. Der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haseloff, unterstützt als Schirmherr dieses Projekt. Außerdem sei ein Beirat von europäischem Format installiert worden, um das Projekt wissenschaftlich, fachlich und unter ethischen Gesichtspunkten zu begleiten.

Nach Anlaufen des Modellprojektes werden wir über den Fortschritt in diesem Newsletter berichten. Herr Luther steht uns dann erneut als Interviewpartner zur Verfügung. Vielleicht wird diese Form des modernen Zusammenlebens eines Tages auf andere Regionen in Deutschland und Europa übertragen. Wir sind gespannt.

Weitere Informationen:
Externe Website https://www.haneuer.de/