„Man muss Vertrauen in das Konzept haben“
Veckenstedter übernehmen Dorfladen
Einkaufen ohne weite Wege: Für die 1.500 Veckenstedter war das ein Jahr lang nicht möglich, weil der letzte Supermarkt des Ortes geschlossen hatte. Seit Ende 2017 gibt es in ihrem Nordharzer Ort wieder eine Einkaufsmöglichkeit. Die Einwohner haben in Eigenregie eine Genossenschaft gegründet und einen Dorfladen eröffnet. Vier Arbeitsplätze sind entstanden, sechs Tage in der Woche kann man dort einkaufen – Lebensqualität und Zusammengehörigkeitsgefühl im Ort sind erheblich gestiegen.
„Es läuft super, sehr gut! Wir sind sehr zufrieden und der Umsatz in den ersten Monaten ist besser als erwartet“, freut sich Karl-Heinz Abel, der Vorsitzende der Genossenschaft in Veckenstedt nahe Wernigerode. Doch wie kam es überhaupt zur Eröffnung des eigenen Dorfladens?
Das Vorbild Deersheim macht Schule
Im August 2016 schloss die letzte Einkaufsmöglichkeit in Veckenstedt. Für viele Menschen im Ort, die kein eigenes Auto besitzen und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, ein Desaster.
Auch im Nachbarort Deersheim hatte es dieses Problem gegeben, nur zeitversetzt – ein gutes Jahr zuvor. Ein paar Visionäre im Ort taten sich zusammen und suchten nach Lösungen. Genossenschaften hatte es vor allem vor der Wende viele gegeben. Eine wunderbare Idee, gemeinsam etwas zu schaffen, die nach 1989 weit unter Wert gehandelt wurde.
In Deersheim jedenfalls gründete man eine Genossenschaft, suchte und fand Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten. Ein leerstehender, denkmalgeschützter, aber ruinöser Gebäudekomplex wurde in Eigenregie saniert. Seit über einem Jahr pulsiert genau dort wieder das Dorfleben. Es gibt Lebensmittel und Getränke zu kaufen, ein kleines Café, eine Postfiliale, einen Frisör und die ehemalige Scheune als riesen Raum zum Feiern.
Die ehemalige Ruine im Dorfkern ist zu einem Zeichen für gelungenes Bürgerengagement geworden. Jedenfalls diente den Veckenstedtern das zwölf Kilometer entfernte Deersheim als Vorbild für ihre Pläne.
Ein Stück Zukunft aus eigener Kraft
Zwei Monate nach Schließung der alten Einkaufsmöglichkeit gründeten die Veckenstedter ihre Landmarkt Genossenschaft Veckenstedt. 370 Mitglieder finden schnell zusammen. Ein Anteil an der Genossenschaft kostet 50 Euro. Für gut 55.000 Euro wurden Genossenschaftsanteile verkauft – ein Startkapital, das zwar nicht reicht, aber Mut machte, erinnert sich Karl-Heinz Abel.
„Man muss Vertrauen in das Konzept haben“, so der 63-jährige Diplom-Mathematiker. „Wenn man das nicht hat, braucht man gar nicht erst anzufangen.“
Er und seine Mitstreiter hatten das Vertrauen in die eigene Idee. „Wenn auch nur alle Mitglieder mit ihren Familien hier einkaufen, dann muss es funktionieren“, so Abel.
Handwerker aus der Region bauten die Räumlichkeiten aus. Viele Firmen aus dem Ort arbeiteten kostenlos. Auch Fliesenleger Wolfram Donner. Er sagte, für ihn sei wichtig, dass es im Ort Einkaufsmöglichkeiten für alle Generationen gebe.
Die Jüngeren sollten wissen, dass es sich lohne, in Veckenstedt zu leben. Und siehe da, es entsteht in wenigen Monaten ein Geschäft mit Post- und Lotto-Annahmestelle, sogar einen Geldautomaten gibt es hier.
Schlangestehen wie früher
Als dann im Dezember die Genossenschaft ihre Mitglieder und alle anderen Veckenstedter zur Eröffnung einlädt, ist es, als würde der gesamte Ort mit Gästen einen Superstar willkommen heißen. Der Platz vor dem neuen „Landmarkt“ ist rappelvoll. Kaum eine Straßen-, Brücken- oder offizielle Gebäudeeinweihung im Nordharz wurde zuletzt derart beachtet.
Und gleich nach dem obligatorischen Durchschneiden des Bandes strömen alle in den Markt. Nicht etwa, weil es dort Sonderangebote zur Eröffnung geben würde, sondern um sich selbst und die wunderbare Idee der Eigenversorgung zu feiern. Binnen kürzester Zeit bildeten sich lange Schlangen an den Kassen und keinen kümmerte es. Im Gegenteil: Es ist eine gute Gelegenheit mit Vor- und Hintermännern zu schwatzen. Alles gut.
Dabei sind längst noch nicht alle beantragten und bestätigten Fördermittel bei der Genossenschaft eingegangen. Seit Monaten warten alle auf die Fördermittel für die Kühlgeräte im Dorfladen. Kostenpunkt 37.000 Euro. Eine Investition, die die Genossen vorfinanziert haben, weil eine Kühlung für viele Produkte unerlässlich ist. Die 150.000 Euro Kredit reichen für die Grundausstattung und um den Laden zum Laufen zu bringen.
Frisches aus der Region
Im Supermarkt selbst setzt man auf regionale Spezialitäten. Fleisch, Brot, Kartoffeln, Honig, Marmelade, Wasser, Fisch und Frischmilch müssen nicht kilometerweit herangefahren werden. Fleisch vom Harzer Höhenvieh, Honig von Imkern aus der Umgebung und der Frischmilchautomat spendet Milch von – na klar – Harzer Kühen. Das kommt so gut an, dass die Leute aus den Nachbarorten zum Einkaufen nach Veckenstedt anreisen.
„Natürlich sind alle Macher stolz darauf, dass alles gut läuft“, sagt Karl-Heinz Abel. „Geld verdient die Genossenschaft noch nicht mit dem Geschäft, aber theoretisch könnte das irgendwann schon so sein“, schaut der Genossenschaftsvorsitzende nach vorn.
Öffnungszeiten Landmarkt Veckenstedt:
Montag bis Freitag: 7.30 – 19.00 Uhr
Samstag: 7.30 – 16.00 Uhr