Eine Bühne für alle Generationen
Das Holzhaustheater Zielitz gewinnt beim Demografiepreis einen 2. Platz
Als die Vorpahls vor 25 Jahren Nachbarn und Freunde zum Theaterspielen auf die Terrasse ihres neugebauten Holzhauses einluden, hätten sie niemals daran gedacht, dass daraus ein renommierter Theaterverein für Jung und Alt mit fester Spielstätte werden würde. Denn begonnen hatte alles mit einem Loch in der Haushaltskasse.
Nachdem Sigrid Vorpahl und ihr Mann Bernd sich den Traum vom eigenen Haus in Zielitz bei Magdeburg erfüllt hatten, war an einen Urlaub nicht mehr zu denken.
Um ihrer Tochter Franziska dennoch ein besonderes Ferienerlebnis zu bescheren, begannen sie gemeinsam ein Theaterstück einzustudieren. Das erklärte Ziel damals: zur Premiere Freunde und Nachbarn einladen.
Inszeniert wurde der „Urfaust“. Nicht ganz ohne Hintergedanken, denn Franziska sollte so spielerisch an den Goethe-Klassiker herangeführt werden und in der Schule später davon profitieren.
Sigrid Vorpahl, beruflich als freie Reporterin für den MDR-Hörfunk unterwegs, ist studierte Theaterwissenschaftlerin, ihr Mann Schauspieler. Beide wussten also, wie man das Publikum in seinen Bann zieht.
Die Premiere – im damals aus einer Laune heraus liebevoll „Holzhaustheater“ genannten Garten – war ein solcher Erfolg, dass es spontan Folgeprojekte gab. Immer mehr Freunde und Nachbarn hatten Lust, auch selbst Rollen zu spielen.
Höchste Bühne zwischen Magdeburg und Ostsee
Sieben Jahre später war das private Holzhaustheater zwar ein stehender Begriff in der Region, aber zu klein geworden für die vielen Mitmacher und Gäste. „So eine Vereinsmeierei konnte ich mir eigentlich auch nie vorstellen“, sagt Sigrid Vorpahl über die Gründung des Vereins im Jahr 2000.
Als Hörfunkjournalistin hatte sie sich damals auf der Abraumhalde des Zielitzer Kaliwerkes mit Bergleuten verabredet. Der erste Besuch auf dem rund 120 Meter hohen Salzberg war wie eine Initialzündung: „Diese irre Mondlandschaft ist eine so großartige Kulisse“, dachte sie sofort, „hier müssten wir mal Theater spielen.“
Also gründete sie zusammen mit ihrer Familie und Freunden den „Holzhaustheater Zielitz e. V.“, um auf der Halde ein Sommerprogramm zu etablieren – die „Kalimandscharo-Festspiele“.
Beim Kaliwerk stieß ihr Anliegen auf offene Ohren; das Unternehmen förderte den frischgegründeten Verein fortan. Die Stücke, die vor allem Geschichten aus der Region erzählten, schrieben und entwickelten Sigrid und Bernd Vorpahl gemeinsam, ebenso die Inszenierungen. Alles im Ehrenamt neben der Arbeit.
Die Vorstellungen waren fast immer ausverkauft und die Salzhalde wurde so etwas wie ein Pilgerort mit magischer Anziehungskraft für Besucher aus der gesamten Region und darüber hinaus.
Schauspielkunst belebt die Gemeinde
Von Beginn an engagierten sich auch die Jüngsten im Verein. „Wir hatten zum Teil Kinder mit Lese-Rechtschreibschwäche dabei“, erinnert sich Sigrid Vorpahl. „Durch das viele Lesen, das endlose Durchsprechen und Wiederholen von Texten sind so viele der kleinen Mimen in der Schule viel besser und selbstbewusster geworden. Wir hatten sogar Schüler dabei, bei denen es auf der Kippe stand, ob sie einen normalen Schulabschluss schaffen, aber die sind bei uns so aufgeblüht, dass sie am Ende gar nicht mehr wussten, dass sie mal Probleme hatten.“
Das Holzhaustheater gründete 2002 sogar eine Schauspielschule. Für den 1.800-Einwohner-Ort Zielitz ein Magnet, der auch immer mehr Kinder aus umliegenden Ortschaften anzog und das Gemeindeleben extrem bereicherte. Mit seinen regelmäßigen Proben und Aufführungen ist das Theater eine feste Institution für alle Theaterbegeisterten im Landkreis Börde geworden.
Und so platzte bald auch das von der Gemeinde zur Verfügung gestellte Vereinsgebäude aus allen Nähten. Darum entschied der Gemeinderat ein festes Theater zu errichten. 2015 wurde es eröffnet – direkt neben der Grund- und Sekundarschule. „Das war für uns natürlich ein Ritterschlag“, so die Theaterdirektorin, die damit eine noch größere Verantwortung übernahm. „Das ist wie ein Strudel, ein Selbstläufer, man kann eigentlich nicht mehr aufhören. Das ist oft schwierig und nach der Premiere ist immer auch vor der Premiere.“
Das Preisgeld ist schon verplant
Zur Bewerbung um den Demografiepreis 2018 kam es dann eher durch Zufall. Die Agentur, die für das Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr das Organisatorische erledigt, hatte Sigrid Vorpahl und ihren Verein direkt dazu aufgefordert.
„Wir haben die Bewerbungsunterlagen eingereicht, aber bei der großen Konkurrenz von über 160 Bewerbern aus dem ganzen Land hatten wir keine Ahnung, ob wir damit Erfolg haben würden“, so die Theaterwissenschaftlerin. „Selbst als wir dann zur Preisverleihung in der Staatskanzlei waren, dachten wir, dass wir vielleicht auch einfach nur zum Klatschen eingeladen worden sind.“
Als dann das Holzhaustheater einen der zweiten Plätze mit einem Preisgeld von 1.000 Euro belegte, war die Freude riesig. „Na klar stehen bei uns alle Generationen gemeinsam auf der Bühne und wir spielen eben auch für alle Generationen, aber dass wir dafür auch vom Land geehrt werden, das ist schon bewegend“, sagt Sigrid Vorpahl. „Das Geld können wir sehr gut gebrauchen. Ich sitze ja mitunter tagelang vor dem PC und schaue bei eBay nach Kostümen, die wir uns sonst nie leisten könnten – und jetzt haben wir dafür wieder Mittel.“
Knapp 100 Mitglieder engagieren sich ehrenamtlich im Holzhaustheater Zielitz e. V. Die Hälfte davon sind Kinder. Sigrid Vorpahl ist jetzt 63 Jahre alt und zurecht stolz auf das, was sie und ihr Mann im kleinen Bördeort aufbauen konnten. Sie wünscht sich vor allem, dass in zehn oder fünfzehn Jahren jemand aus Zielitz in ihre Fußstapfen tritt, damit das Theater immer ein Treffpunkt für alle Generationen bleibt.