Ländlich-periphere Räume: Ankoppeln statt abgehängt sein?
Expertenplattform Demographischer Wandel veranstaltet Workshop zu einem umstrittenen Begriff
Von Carsten Köppl, Next:Public GmbH und
Prof. Dr. Peer Pasternack, Sprecher der Expertenplattform Demographischer Wandel in Sachsen-Anhalt
Die Rede von „abgehängten Regionen“ prägte 2018 zahlreiche Debatten zum ländlichen Raum. Ein umstrittener Begriff – zumal es wenig hilfreich erscheint, Regionen kommunikativ als „abgehängt“ ins Abseits zu stellen. Die Expertenplattform Demographischer Wandel hat zum Thema einen Workshop im Leibniz‐Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) veranstaltet.
Die in der öffentlichen Debatte als „abgehängt“ bezeichneten Regionen sind regelmäßig ländlich geprägt.
Doch ein statistischer Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Lage und Ländlichkeit lasse sich nicht aufweisen, so Patrick Küpper vom Thünen-Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei.
Oftmals hätten sich sogar verdichtungsraumnahe Regionen schlechter entwickelt als sehr ländliche Räume. Zu betonen sei ein starker Zusammenhang zwischen Arbeitsplätzen und Bevölkerung – „dort, wo die Menschen keine Arbeit mehr finden, gehen sie weg“.
Und dort, wo nur noch wenige Erwerbstätige wohnen, finden wenig Ansiedlungen statt, werden folglich kaum Arbeitsplätze geschaffen.
Dieser „Teufelskreis“ wurde schon in den 1960er Jahren beschrieben, erläuterte der Wissenschaftler. Aber: Einstige Problemregionen hätten sich oftmals gut entwickelt.
Hierfür seien auch „Bremseffekte der Schrumpfung“ verantwortlich. Dazu gehören Finanzausgleichssysteme, sinkende Immobilienpreise, die Menschen anlocken, sinkende Löhne, die auch Chancen für Unternehmen darstellen können, wachsende Freiräume, die innovative Ideen zulassen. Und letztlich die „passive Sanierung“, bei der die Arbeitslosenquote durch Abwanderung und Verrentung zurückgeht. Lokale Wissensinfrastrukturen und soziales Kapital hätten für die wirtschaftliche Entwicklung an Bedeutung gewonnen, führte Küpper weiter aus.
Andreas Brohm, Bürgermeister von Tangerhütte, stellte den Gestaltungsspielraum der Gemeinden als wesentliche Entwicklungsdeterminante heraus. „Man muss uns Gemeinden auch machen lassen.“
In der Diskussion wurde mehrfach betont, dass gerade kleinere Gemeinden und Dörfer mehr finanzielle Spielräume abseits von zweckgebundenen Förderprogrammen brauchten – einerseits um die kommunale Selbstverwaltung langfristig-strukturell zu sichern, anderseits um Initiativen und Vorschläge aus der Bürgerschaft unterstützen zu können.
Wichtig seien zum Beispiel „Kümmerer“ in der Verwaltung, die Umsetzungsideen regulatorisch begleiten und unterstützen. Solche Begleiter für ehrenamtliche Initiativen seien wichtig, damit die Menschen den Glauben an ihre eigene Gestaltungskraft und an die Zukunftsfähigkeit der Region wiederbekommen.
Die Markierung „abgehängt“ dagegen befeuere eine Kommunikation, die zugespitzt als Vertreibungskommunikation bezeichnet werden kann, so Hardo Kendschek (empirica Leipzig). Das mit einer solchen Markierung geförderte (Selbst-)Wahrnehmungsproblem könne positive Entwicklungen hemmen.
Der Begriff vermittle den Menschen, dass sie in einer nicht zukunftsfähigen Region lebten. „Wir mussten lange arbeiten, um diesen Stempel wieder loszuwerden“, berichtete etwa Thomas Böhm, Wirtschaftsdezernent des Burgenlandkreises.
Weiterführende Informationen:
Vortragsfolien und eine Broschüre mit den Workshop-Ergebnissen
Kontakt zu den Autoren:
Prof. Dr. Peer Pasternack
Direktor Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
E-Mail: peer.pasternack(at)hof.uni-halle.de