Heimat bewegen – einfach machen statt meckern
Engagierte Ballenstedterinnen erfinden ihre Heimatstadt neu
„Stellen Sie sich vor, Ihre Stadt ist wunderbar und Sie sind schuld daran! Wir wünschen uns ein Ballenstedt, das beides ist: Löwenzahn und Pusteblume. Einen Ort, der tiefe und feste Wurzeln hat, der sich seiner Standhaftigkeit und Begabungen bewusst ist. Einen Ort, der bereit ist, sich immer wieder zu wandeln…“. Damit präsentieren sich die Gründer des Vereins heimatBewegen e. V. in Ballenstedt.
Anneke Richter und Nicole Müller gehören dazu. Beide sind in Ballenstedt aufgewachsen, haben ein paar Jahre ihre Heimat verlassen und sind zurückgekehrt. Doch die Stadt erscheint den jungen Frauen immer noch im Schlafmodus. Obwohl die idyllisch gelegene Harzstadt mit einigen Besonderheiten punkten kann.
Da ist das Schloss Ballenstedt, die Wiege des Uradelsgeschlechts der Askanier und die NAPOLA, die nationalpolitische Erziehungsanstalt der Nazis im Dritten Reich.
Natürlich kommen deshalb immer wieder Touristen, aber mit dem prallen Leben hat das nichts zu tun. Ladenräume stehen leer, verlassene Häuser, abends was erleben – oft Fehlanzeige. Das hat auch die beiden Frauen gestört. „Wir sind alle mit Ballenstedt verbunden und es gab so eine Zeit, da haben alle nur gemeckert, dass es hier nichts gibt. Wir auch.“, so Nicole Müller. „Irgendwann haben wir uns gesagt, man kann ja auch selbst etwas gestalten. Wenn wir das nicht machen, macht es keiner. Wir können es ja mal probieren.“, so die Wirtschaftsökonomin.
Die Zukunft erfinden
Also haben sie sich mit Gleichgesinnten zusammengesetzt, vor zwei Jahren einen Verein gegründet, sind aktiv geworden. Nach der Vereinsgründung ging es los. Ideen zusammentragen, Konzepte schreiben, Anträge und Finanzierungspläne erstellen, Räume finden – alles im Ehrenamt. Viel zusätzliche Arbeit neben Beruf, Kindern, Familie und Haushalt. Aber alle verfolgen eine gemeinsame Vision von Ballenstedt, ihrer Heimat, die auch ihren Kindern ans Herz wachsen soll. „Heimat ist vielschichtig und bedeutet für jeden etwas anderes“, so die 37-jährige Mutter von zwei Töchtern. „Wir wollen hier auch eine Zukunft erfinden, weiterentwickeln und zukunftsträchtig gestalten.“
Und der Verein entwickelt sich in dem Maße, in dem sich auch die Stadt verändert. Plötzlich steht dem Verein ein mehrere tausend Quadratmeter großer Hof zur Verfügung. Dazu gehören gut dreihundert Jahre alte denkmalgeschützte Gebäude, alte Stallungen, eine Scheune und und und …
Begegnungsstätte
Viel Platz für Begegnungen, um immer neue Pläne zu schmieden, für eine Herberge und selbst ein Mehrgenerationenhaus für ein selbstbestimmtes Wohnen im Alter ist angedacht. Der Platz ist da. Aber die Nebengelasse sind einsturzgefährdet, fast alle Gebäude müssen dringend saniert werden. Alles große Aufgaben, die neben dem normalen Arbeitsalltag und Familie stattfinden müssen – denn die Aktivitäten für heimatBewegen finden mit einer Ausnahme natürlich im Ehrenamt statt. Nicole Müller hat sich als sogenannte „Neulandgewinnerin“ für eine Förderung über die Robert-Bosch-Stiftung beworben und hat den Zuschlag bekommen. Damit kann sie zum Teil und unter bestimmten Voraussetzungen ihre Arbeitsleistungen im Verein bezahlt bekommen.
Um auf sich und Ballenstedt aufmerksam zu machen, entsteht die Idee, verlassene Orte neu zu nutzen. Zum Beispiel die 1934 gebaute sogenannte NAPOLA, der einzige Neubau einer nationalpolitischen Erziehungsanstalt. Nicht nur als Gymnasium zum Ablegen der Reifeprüfung gedacht, sondern um die Schüler gezielt darauf vorzubereiten, später an vorderster Front die nationalsozialistische Gesinnung durchzusetzen.
Kunstkurort Zauberberg
Heute gibt es einen Ortstermin auf dem Großen Ziegenberg, auf dem die einstige NAPOLA steht. Der Exerzierplatz ist gigantisch groß und umsäumt von verlassenen Gebäuden. Auch hier Verfall. An einigen Dächern regnet es durch. Der Ort oberhalb der Stadt hat einen besonderen Reiz. Hierfür hat der Verein ein ganz besonderes Projekt geplant. Anneke Richter hat hier die Federführung übernommen. „Wir wollen hier Kunst- und Kulturschaffende herholen, um den Ort mit neuen Erinnerungen zu überschreiben.“, so die 42-jährige Medieninformatikerin.
Am Wochenende nach Pfingsten soll der Ort für drei Tage zum Kunstkurort Zauberberg werden. Mit Ausstellungen, Lesungen, Führungen und Musik. „Der Name ist angelehnt an den Zauberberg von Thomas Mann und Kunstkurort deshalb," erklärt die zweifache Mutter weiter, „weil wir uns von der Geschichte erholen wollen. Kunst und Kultur sind ideal, um die Geschichte hier umzuschreiben.“.
Auch für dieses Projekt haben die Mitglieder von heimatBewegen es hinbekommen, Geld zu beschaffen, andere Partner wie den Magdeburger Kulturanker ins Boot zu holen, Sponsoren zu finden.
Bis zu 1000 Gäste gleichzeitig dürften den Kunstkurort Zauberberg dann genießen, mehr erlaubt das Ordnungsamt nicht. Die Sicherheit muss gewährleistet sein. Keiner aus dem Verein hat bislang Erfahrungen mit so einer Großveranstaltung. „Wir üben noch!“, lacht Anneke Richter auch ihre Unsicherheiten weg. Für Nicole Müller ist es „… eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Man merkt, man kann etwas bewegen und das Umfeld bewegt sich plötzlich mit. Und wenn es dann losgeht – oh Gott! Schaffen wir das überhaupt? Übernehmen wir uns nicht!?“
Die beiden Frauen und die anderen Mitstreiter von „heimatBewegen“ sind mittendrin ihre Träume auch zu leben und etwas zu schaffen, das Bestand hat. Für sich, für alle und vor allem für ihre Kinder.
Mehr zum Thema finden Sie hier:
Ansprechpartnerin im Verein für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:
Anneke Richter, E-Mail: info(at)heimatbewegen.de
Nicole Müller, E-Mail: nicole.mueller(at)heimatbewegen.de
Weitere Infos zum Projekt unter: