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Kinder und Jugendliche in der Lokalpolitik: Osterburg geht neue Wege

Bitte ein bisschen bunter!

Von Sabrina Gorges, Freie Journalistin

Junge Stimmen, die nicht gehört werden

Bei lokalpolitischen Entscheidungen haben Kinder und Teenager meist nichts zu melden. Und das, obwohl sie oft pfiffig, kreativ und praxisorientiert an Dinge herangehen. Osterburg in der Altmark strebt nach mehr Beteiligung junger Menschen. Eine gebürtige Rheinländerin soll’s richten – mit ersten Erfolgen im Postkartenformat.

Potenziale erkennen und nutzen

Mitreden? Mitgestalten? Mittun? Kinder und Jugendliche sind nur selten an lokalpolitischen Entscheidungen in ihrer Stadt oder ihrem Dorf beteiligt. Dabei tangieren diese Entscheidungen die jungen Menschen oft unmittelbar. Sie blicken meist frei und offen auf die Dinge und haben nicht selten Lösungsvorschläge für Probleme parat. Die Chance auf Mitwirkung festigt die Bindung zur Heimat und im besten Fall den Willen, im Erwachsenenalter zu bleiben und weiter mitzugestalten.

Osterburgs Vorstoß für mehr Jugendbeteiligung

In der Hansestadt Osterburg in der Altmark sollen diese Potenziale künftig stärker genutzt werden. Das bedeutet: Osterburg will Kinder, Teenager und junge Erwachsene stärker beteiligen und hat nun eine hauptamtliche Kinder- und Jugendbeauftragte – die erste überhaupt. Dafür hat die Kommune nach einem Stadtratsbeschluss aus dem Februar 2023 Mittel aus dem Fördertopf des Programms „Demografie – Wandel gestalten“ beantragt.

Der lange Weg zur Umsetzung

Mitte September 2023 landet der Zuwendungsbescheid des Landes Sachsen-Anhalt in Höhe von 56.235,03 Euro auf dem Schreibtisch von Bürgermeister Nico Schulz. Am 4. Januar 2024 geht es für Marie Weitz mit 20 Wochenarbeitsstunden los. Der Weg dahin ist mit Weitblick, Engagement, Willen, Können und einer Portion Glück gepflastert. Immerhin: Osterburg ist die erste Kommune Sachsen-Anhalts, die außerhalb der drei großen kreisfreien Städte einen solchen Posten vorweisen kann. „Dafür haben wir das Amt für Verwaltungssteuerung und Demografie extra neu aufgestellt“, berichtet Nico Schulz. „Und dort für Marie Weitz auch ein Büro eingerichtet.“

Eine neue Heimat und eine neue Aufgabe

Osterburgs erste Kinder- und Jugendbeauftragte, Marie Weitz, wurde 1998 geboren und stammt ursprünglich aus Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen. „Ich bin 2018 nach Stendal gezogen, um dort an der Hochschule den bundesweit einzigen Studiengang Angewandte Kindheitswissenschaften zu studieren“, sagt Marie Weitz. Dieser befasst sich mit Kindheit und Jugend in Theorie, Forschung und Praxis. Ihren Fokus legt sie von Anfang an auf Beteiligung und Partizipation, vor allem auf kommunaler Ebene. In ihrer neuen Heimatstadt Stendal engagiert sie sich studienbegleitend im Verein KinderStärken im Landeszentrum Jugend + Kommune.

Von der Hoffnungslosigkeit zum Wink des Schicksals

„Im Landeszentrum war ich für mich zu weit weg von Kindern und Jugendlichen.“ Immer wieder kommt ihr die Frage nach ihrer Zukunft in den Kopf. „Ich hatte ehrlicherweise irgendwie keine Hoffnung, dass mich hier in der Altmark irgendeine Stelle wirklich abholt“, erklärt sie und muss lachen. Wohlwissend, dass es anders gekommen ist. Denn im November 2023 stolpert sie vielfach über die Ausschreibung der Hansestadt Osterburg für eine Kinder- und Jugendbeauftragte. „Auf Social Media und an der Hochschule las ich es immer wieder. Das war ein Zeichen, ein Wink des Schicksals.“ Sie ist begeistert – und schickt ihre Bewerbung los.

Osterburg: Eine ländliche Herausforderung

In Osterburg im Landkreis Stendal leben in der gleichnamigen Einheitsgemeinde knapp 10.000 Menschen, in der Kernstadt sind es etwas weniger als 6.000. Die Region ist dünn besiedelt und ländlich geprägt. Die Einheitsgemeinde Osterburg besteht laut Bürgermeister Nico Schulz aus elf Ortschaften mit 31 Ortsteilen. „Also wir haben die Stadt und 30 Dörfer.“ Und Marie Weitz ergänzt: „Und es gibt 1940 junge Menschen bis 27 Jahre, Stand April 2024.“

Der Beginn einer sichtbaren Arbeit

Ein großer Teil dieser jungen Menschen ist die „Zielgruppe“ der jungen Rheinländerin, die in Stendal wohnt und Osterburg bis zu ihrem Dienstbeginn nur flüchtig von einer Radtour kannte. „Mich kennt man hier nicht, ich bin keine Einheimische. Ich muss also erstmal sichtbar werden“, bekräftigt sie mit erhobenem Zeigefinger. „Und sichtbar bleiben.“ Für zwei Jahre bis 30. September 2025 gibt es für die Kommune Geld aus dem Demografie-Fördertopf des Landes. Weitere drei Jahre hat sie sich verpflichtet, eine Kinder- und Jugendbeauftragte aus Eigenmitteln zu bezahlen.

Schritte in Richtung mehr Jugendbeteiligung

Osterburgs Weg zur eigenen Kinder- und Jugendbeauftragten führt über Jahre über den Verein zur Förderung der Bildung VFB Salzwedel und den Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung (VHW) und dessen „Kleinstadtakademie“. Eine ehrenamtliche Seniorenbeauftragte hat die Stadt da längst etabliert. „Bei verschiedenen Projekten war Beteiligung immer Thema“, sagt Nico Schulz. „Wir haben daraufhin den ersten 30-köpfigen Bürgerrat des Landes gegründet und uns als Stadt ganz konkret für eine direkte Jugendbeteiligung über alle Ämter hinweg ausgesprochen.“

Herausforderungen und erste Erfolge

Und die bringt Marie Weitz jetzt Stück für Stück auf den Weg – und der ist ein durchaus schwieriger. „Verwaltung ist bis zu einem bestimmten Alter ja gar kein Thema“, berichtet sie aus ihrem Arbeitsalltag. „Viele sind überfordert, weil sie’s gar nicht kennen, dass sie von mir angesprochen und gefragt werden.“ Erst spricht sie mit den Multiplikatoren und Kooperationspartnern, dann mit den Kindern und Teenagern. Sie geht an die Schulen und hat sogar Rederecht im 20-köpfigen Stadtrat. Wie sie die Kernstadt Osterburg und alle Ortschaften der Einheitsgemeinde ins Auge fassen soll, weiß sie noch nicht. „Man muss das ganz realistisch betrachten, denn bei allem, was ich machen möchte, muss ich den Mobilitätsfaktor im Hinterkopf haben.“

Kreative Ideen für eine buntere Zukunft

Als einen Schritt hat sie Postkarten mit dem Slogan „Immer wenn du mitmachst, wird es hier ein bisschen bunter! Deine Stimme für unser Osterburg“ in Umlauf gebracht. Da stehen ihre Kontakte drauf und junge Menschen können auf der Rückseite Ideen und Kritik äußern. Und weil es ohne Handy gar nicht geht, wirbt Marie Weitz für die kostenfreie App PLACEm, wo Osterburg mit #vonamtswegen vertreten ist. „Wer dem Osterburg-Channel beigetreten ist, kann sich informieren, abstimmen, mitreden und gestalten.“ Mit Plakaten wird in den Osterburger Schulen und an anderen Stellen auf die PLACEm-App aufmerksam gemacht.

Ein offenes Ohr und ein langer Atem

Da Marie Weitz noch Teilzeit als Dozentin an der Hochschule in Stendal arbeitet, will sie auch künftig stärker mit Studentinnen und Studenten in Osterburg zu dem Thema arbeiten. „Das sind alles richtig gute, erste Schritte“, resümiert Nico Schulz. „Ich lasse den Ball laufen. Es braucht nicht nur Willen, sondern vor allem Zeit und Geduld.“